Ich bin in Kreuz und Leiden,
das schreib ich mit der Kreiden!
Und wer kein Kreuz und Leiden hat,
der wische meinen Reimen ab!
sagt ein altes Volkslied. Es ist das Lied Gerhardts geworden. Der Kreuzweg hat die zwei Eheleute mehrere Male an Kinder gräber geführt. Die kleine Anna Katharina ist ihnen nach vierzehn Monaten genommen worden. Ein Sohn Andreas scheint gleich nach seiner Geburt gestorben ui sein. Da ist ihm wohl aus solchen Leidstunden sein Lied von der Geduld als süßer Trost geschenkt worden:
Geduld ist euch vonnöten,
wenn Sorge, Gram und Leid
und was euch mehr will töten,
euch in dasHerze schneid´t.
O auserwählte Zahl!
Soll euch der Tod nicht töten;
ist euch Geduld vonnöten:
ich sag es noch einmal.
Geduld kommt aus dem Glauben
und hängt an Gottes Wort:
Das läßt sie ihr nicht rauben,
das ist ihr Heil und Hort,
das ist ihr hoher Wall,
ds hält sie sich verborgen,
läßt Gott den Vater sorgen
und fürchtet keinen Fall.
Aber das größte Leiden ist ihm aus dem Streit gekommen, der zu Berlin zwischen dem Kurfürsten und dem Geistlichen Ministerium ausgebrochen ist. Das lutherische und das reformierte Bekenntnis wurden damals allgemein als zwei verschiedene Religionen gewertet. Kurfüfst Johann Sigismund hatte 1613 den reformierten Glauben angenommen. “hie Luther — hie Synkretisten”. Entweder oder. Ein Mittleres gibt es nicht! Paul Gerhardt stand zu seinem Wittenberg mit Leib und Seele. Die Reformierten wurden von dem Hofprediger Stosch geführt. Die Lutheraner standen unter Gerhardts Amtsgenossen Reinhart. Schon bei den ersten Verhandlungen war Gerhardt der geistige Führer. Er gab die schriftlichen Gutachten ab — und aus diesen Gutachten ist zu sehen, daß alle weiteren Verhandlungen scheitern mußten. Es ging um die Frage, ob man sich überhaupt in ein Gespräch mit den Reformierten einlassen solle? Gerhardt meinte, die Leute um Stosch seien solche Dickköpfe, daß sie nun und nimmermehr sich zu dem lutherischen Bekenntnis bringen ließen. In dem Hin und Her der Verhandlungen hat Gerhardt eine Behauptung aufgestellt, bei der einen schaudert. Man sieht die ganze Hartnäckigkeit der Wittenberger Theologie darin. Es war die Frage aufgeworfen worden, ob man überhaupt von “reformierten Christen” reden könne. Und Gerhardt hat die Antwort darauf gegeben: “Daß unter den Reformierten Christen seien, gebe ich gern zu. Aber daß die Reformierten, als reformierte Christen, meine Mitchristen, meine Mitbrüder sind, das leugne ich.” So ging das “Religionsgespräch” sang- und klanglos zu Ende. Am 16. September 1664 kam die Verordnung Johann Sigismunds vom Jahre 1614 neu heraus, daß die Beiden Kirchen gegenseitig keine Schimpfnamen auf der Kanzeln gebrauchen dürfen. Man darf von den Reformierten in Zukunft nicht mehr reden als von Zwinglianern, Calvinisten, Sakramentierern, Sakramentschändern. Ebenso dürfen die Lutherischen nicht mehr Ubiquitisten, Flazianer, Marzioniten, Pelagianer, Eutychianer gennant werden. Dieses Edikt wurde sämtlichen Geistlichen zugestellt, und sie erhielten den Befehl, einen Revers zu unterschreiben. Aus Kleve hatte der Kurfürst im Winter 1666 geschrieben, man solle Gerhardt vorladen, seine Unterschrift unter den Revers verlangen, und, wenn er sich weigere, ihn seines Amtes entsetzen. Am 6. Februar 1666 erklärte Paul Gerhardt vor dem Konsistorium, daß er sich um seines Gewissen willen dem Edikt nicht unterwerfen könne. Daraufhin wurde die Amtsentsetzung ausgesprochen, am 14. Februar hielt er die letzte Trauung. Es wird erzählt, daß er damals gesagt habe: “Es ist nur ein geringes Berlinisches Leiden. Ich bin auch willig und bereit, mit meinem Blute die evangelische Wahrheit zu besiegeln und als ein Paulus mit Paulus den Hals dem Schwerte darzubieten!” In Berlin entstand eine gewaltige Aufregung. Die Verordneten der Bürgerschaft, die Vertreter der, der Tuchmacher, der Schumacher, der Bäcker, Schlächter, Kürschner, Schneider, Zinngießer setzten eine Eingabe an den Magistrat auf, der das Patronat der Kirche von St. Nicolai inne hatte, und verlangten, der Magistrat müsse beim Kurfürsten vorstellig werden, daß er ihnen ihren “geliebten Prediger und Seelsorger” nicht entziehe. Denn es sei “mehr als bekannt, daß dieser Mann nimmermehr wider Sr. Churf. Durchlaucht Glauben geredet und keine Seele mit Worten oder Werken angegriffen habe”. Sie verlangten, daß “dieser fromme, ehrliche und in vielen Landen berühmte Mann ihnen gelassen werde”. Der Rat legte diese Schrift mit einem Begleitschreiben vor, in dem gleichfalls betont wurde, daß Gerhardt niemals ein Wort gegen den Glauben des Kurfürsten und seiner Glaubensgenossen gesagt habe. Der Kurfürst lehnte ab. Gerhardt sei einer der hartnäckigsten Gegner der Reformierten. Noch einmal “sollizierten” die Berliner beim Kurfürsten. Auch die Tischler, Messerschmiede, Huf- und Waffenschmiede, die Kupferschmiede schlossen sich an. Der Kurfürst hat sich umstimmen lassen. Er schrieb den Ständen, daß er die Reversangelegenheit nach seiner Rückkunft behandeln wolle. Von Gerhardt ist kein Wort in seinem Briefe. Offenbar wollte sich der Kurfürst Zeit zur Besinnung lassen. Gerhardt wurde in seinem Pfarrhaus belassen. Wo sich die Gräfin Maria Magdalena zur Lippe hatte sich wiederholt nach ihm erkundigt. Sie hatte ihm eine Stelle in Aussicht gestellt, damit er sich keinen Kummer über seine Zukunft zu machen brauche. Er lehnt die Berufung in eine Lippesche Stelle bescheiden und fein ab. Am 3. Januar 1667 ließ Friedrich Hilhelm dem Magistrat von Berlin mitteilen: Er habe über Paul Gerhardts Person keine Klage vernommen außer der, daß er die Edikte zu unterschreiben sich geweigert habe. Er halte also dafür, daß Gerhardt die Meinung der Edikte nicht recht begriffen habe. So wolle er ihn völlig wieder restituieren und ihm gestatten, sein Predigtamt wie vorher zu treiben. Man muß zugeben, daß dies das Alleräußerste war, wozu sich der Mann mit dem herrischen Willen verstehen konnte. Der Kurfürst ließ Gerhardt zukommen, er solle sich dem Verketzerns und Verdammens der Reformierten enthalten! Das hieß mit dürren Worten: Du brauchst den Revers zwar nicht zu unterschreiben — aber du mußt dich ihm gehorsam fügen! Gerhardt geriet in eine neue Not des Gewissens. Es gibt zwei Briefe von ihm, in denen diese Gewissensnot ihren erschütternden Ausdruck findet. Der eine Brief ist an den Magistrat von Berlin gerichtet und der andere an den Kurfürsten. Der Großvater hatte gesagt: “Lieber Amt und Beruf drangeben und mit Weib und Kind ins Elend ziehen als wider das Gewissen zu handeln und den Frieden mit Gott verlieren.” Der Enkel entschied genau so. Der Kurfürst hatte die Sache satt. Er war bis zum Letzten gegangen — nun sah er in dem Mann, der sich immer noch nicht fügen konnte, einen Widerspenstigen, dem nicht zu helfen und zu raten sei. Am 4. Februar 1667 schrieb er an den Rand der Eingabe des Magiszrats: “Wenn der Prediger Paul Gerhardt das ihm von Se. Churf. Durchlaucht gnädigst wieder erlaute Amt nicht Wieder betreten will, welches er dann vor dem höchsten Gott zu verantworten haben wird — so wird der Magistrat in Berlin ehestens einige andere friedliebende geschickte Leute zur Ablegung einer Probepredigt einladen, aber Dieselben nicht vocieren, bis sie zuvörderst Sr. Churf. Durchlaucht von dero Qualitäten untertänigsten Bericht abgestattet haben!” Für den Kurfürsten war die Sache erledigt. Nicht aber für Paul Gerhardt! Ihn verstand beinahe niemand. Die Bürgerschaft und der Magistrat waren verdrossen. Er versuchte sich zu rechtfertigen. Wenn er in sein Amt wieder eintrete unter den Bedingungen, die ihm der Kurfürst gemacht habe, müsse er die Konkordienformel verleugnen. Es war der Gegensatz von Staatsräson und protestantischer Gewissensfreiheit. Der Staat verlangt Unterwerfung. Der Glaube duldet keine Schranken. Der Staat befiehlt — der Glaube, der auf befehl horcht, ist kein Glaube. So werden immer wieder im Lauf der Geschichte Staat und Glaube des einzelnen hart gegeneinander stoßen, solange Staat Staat und Glaube Glaube ist. Eine Kirche, die Männer wie Gerhardt hat, weiß, daß sie lebt und nicht umzubringen ist!