Sechs Jahre wirkte Paul Gerhardt in Mittenwalde. Da kam ein Ruf nach Berlin. An der Nikolaikirche, der Hauptkirche von Berlin, hatte es allerhand Wechsel gegeben. Der alte Propst M. Petrus Vehr, der bei Gerhardts erstem Töchterlein Pate gestanden hatte, war in seinem 70. Lebensjahre heimgerufen worden. Der Ratsherr Martin Richter überbrachte Gerhardt das Berufungsschreiben. Es scheint dem Gewählten nicht leicht geworden zu sein, diesem Ruf zu folgen. Eine Woche lang ließ er sich Zeit zur Besinnung. Ob ihm der Gedanke zu schaffen machte, daß er seiner Gemeinde Mittenwalde noch längere Jahre seinen Dienst schulde? Aber schließlich war bei ihm wie bei allen Wendepunkte nur die eine Frage maßgebend: “Ist es Gottes Wille? Dann muß ich gehen!” Er schrieb an den Rat am 4. Juli 1657: “Nach fleißiger Anrufung Gottes ind reiflicher Erwägung der einhellig auf mich gefallenen Stimmen sehe ich, daß der liebe Gott in diesem Werk seine besondere Schickung und Regierung hat!” Man wußte, daß man in Gerhardt einen Mann berief, der “seinen Mann stellen werde” in Zeiten der friedlichen Gemeindearbeit so gut wie in Zeiten harter Kämpfe, die man damals vielleicht schon vorausahnte. Die Stadt Berlin war im Aufblühen begriffen. Der Kurfürst Friedrich Willhelm sorgte mit seiner ungewöhnlichen Tatkraft, daß die häßlichen Spuren des Großen Krieges getilgt wurden. Die Zahl der Einwohner, die nach Beendigung des Großen Krieges auf schätzungsweise sechstausend herabgesunken war, Hob sich zusehends Man spürte das Wehen einer neuen Zeit, Die den Stempel des weitschauenden Geistes des großen Fürsten trug. Gerhardt wohnte in einem Diakonatshaus in der Stralauer Straße. Seine Einkünfte waren so, daß er von wirtschaftlichen Sorgen befreit war. Seine Dichtung hat in den Jahren der Mittenwalder Arbeit und in den ersten Berliner friedlichen Amtszeiten ihre Blüte erlebt. Die bekannten Lieder, die er gedichtet hat, scheinen in diesen Jahren entstanden zu sein. Einige Lieder von Gerhardt aus der 5. Ausgabe des Gesangbuches von Johann Crüger müssen in der Zeit des ersten Berliner Aufenthaltes oder in Mittenwalde entstanden sein:Der Festliederkreis wird erweitert. Zu Advent kommt das Lied, Wie soll ich dich empfangen? Das ist die besondere Kraft und Schönheit dieses Liedes: Die Palmen Zions wehen, die Welt, die nach dem Frieden Gottes verlangt, strömt auf den breiten Straßen zusammen. Wie soll die stille fromme Seele den Herren der Welt grüßen? Der Dichter geht wie einer, der durch das Dunkel wandelt und nach mittelalterlicher Sitte seinen Fackelträger gesandt bekommen, damit er ihm offene Augen verleihe in das Geheimnis, das den König umwittert. Vor ihm liegt die Welt der Not und der Sünde. Aber die Kerkertüren springen auf! Der Befreier ist erschienen:

Ich lag in schweren Banden,
du kommst und machst mich los.
Ich stand in Spott und Schanden,
du kommst und machst mich groß
und hebst mich hoch zu Ehren
und schenkst mir großes Gut,
das sich nicht läßt verzehren,
wie irdisch Reichtum tut.

Und auf der Erde beginnt ein großes Aufatmen. Die Befreiten gehen durch alle Gassen, in denen der Kummer noch wohnt, und rufen die Freudenkunde in die Häuser der Sorgenvollen:

Das schreib dir in dein Herze,
du hochbetrübtes Heer,
bei denen Gram und Schmerze
sich häuft je mehr und mehr.
Seid unverzagt, ihr habet
die Hilfe vor der Tür:
der eire Herzen labet
und tröstet, steht allhier.

Die erschrockenen Sünder dürfen die Augen wieder aufheben:

Er kommt, er kommt den Sündern
zum Trost und wahren Heil,
schafft, daß bei Gottes Kindern
verbleib ihr Erb´und Teil!

Aber denen, die ihn verfolgen und von sich stoßen, droht die Vernichtung:

Er kommt, er kommt, ein König,
dem wahrlich alle Feind
auf Erden viel zu wenig
zum Widerstande seind.

Über dem Riesenbild von der Scheidung der Geister am Ende der Weltgeschichte leuchtet noch einmal die Seligkeit der Frommen auf:

Ach komm, ach komm, o Sonne,
und hol uns allzumal
zum ew´gen Licht und Wonne
in deinen Freudensaal.

Mit besonderem Reichtum an Liedern ist das Weihnachtsfest bedacht. Da tönt vor allem:

Fröhlich soll mein Herze springen
dieser Zeit,
da vor Freud´
alle Engel singen.
Hört, hört, wie mit vollen Chören
alle Luft laute ruft:
Christus ist geboren!

Zu der Krippe geht mit den Hirten und Weisen auch der Dichter, vor dem Bethlrhem zur beglückenden Gegenwart geworden ist. Man glaubt ein Bild Correggios zu sehen von dem Kind, von dem alles Licht in die Dämmerung hinausstrahlt. Lieblich und mächtig zugleich. Das Kind und der Erlösser in einem!

Nun, er liegt in seiner Krippen,
ruft zu sich
mich und dich,
spricht mit süßen Lippen:
lasset fahr´n, o liebe Brüder,
was euch quält,
was euch fehlt,
ich bring´alles wieder.

Unvergeßlich dies Wort aus dem Mund eines Schwerkranken, den ich an einem Weihnachtsabend besuchte. Und dann die Pilgerfahrt der Unzähligen:

Ei, so kommt und laßt uns laufen,
stellt euch ein,
groß und klein,
eilt mit großen Haufen.
Liebt den, der vor Liebe brennet!
Schaut den Stern,
der euch gern
Licht und Labsal gönnet.